
Rückblick Nationales Bildungsforum 2024
Zwischen spannenden Keynotes, ausgiebigen Diskussion und neuen Erkenntnissen: Das war das Nationale Bildungsforum 2024! Unser Rückblick fasst das Forum vom 11. bis 12. September in Lutherstadt Wittenberg zusammen.
Was für eine Schulaufsicht… braucht die Schule und das Land – das 7. Nationale Bildungsforum in Lutherstadt Wittenberg
Die Schulaufsicht im Fokus: Ein Schlüssel zur erfolgreichen Schulreform
Zwischen Bildungspolitik und der Realität an den Schulen spielt die Schulaufsicht eine Schlüsselrolle. Ohne sie ist keine Schulreform umsetzbar – und dennoch bleibt sie in der Bildungsdebatte oft unberücksichtigt. Sie steht vor der Herausforderung, Schulen sowohl zu beaufsichtigen als auch bei ihrer Weiterentwicklung zu unterstützen. Eine Doppelrolle, die nicht selten Spannungen birgt.
Doch die Zeit ist reif, einen intensiveren Blick auf die Schulaufsicht zu werfen. Wie Thomas Jackl passend ausruft:
In diesem Sinne sind wir beim 7. Nationalen Bildungsforum in Wittenberg, das vom 11. bis 12. September 2024 stattfand, mit mehr als 80 Vertreter*innen aus Praxis, Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Stiftungen und den Schulaufsichten selbst in Diskussion gegangen. Aus diesen sind sechs konkrete Thesen mit passenden Handlungsempfehlungen hervorgegangen.
UNSERE FRAGESTELLUNG
Zentrale Fragen, die beim Forum im Vordergrund standen:
- Wie kann die Schulaufsicht die Reformansprüche von Politik und Gesellschaft umsetzen, wenn ein*e Schulrät*in für bis zu 60 Schulen zuständig ist?
- Wie kann ein Paradigmenwechsel in der Bildungssteuerung gelingen, insbesondere mit Blick auf die Schulaufsicht?
- Brauchen Schulen je nach ihrem Entwicklungsstand nicht unterschiedliche Steuerungslogiken: mal eine enge Begleitung, mal die lange Leine – nur wie geht das mit für alle geltenden Regeln einher?
- Was braucht es, um die Schulaufsicht zukunftsorientiert zu gestalten?
- Welches Selbstverständnis haben Schulrät*innen heute – und welche Rollen und Aufgaben prägen ihren Arbeitsalltag?
- Wie also könnte ein zeitgemäßes System aus Aufsicht und Unterstützung aussehen?
Schulaufsicht, die Bildungsbroker zwischen Schule und Verwaltung
Das 7. Nationale Bildungsforum hat angesichts dieser spannungsgeladenen Fragen, Vertreter*innen der Schulaufsicht den Raum geboten, selbst zu Wort zukommen, um ihre aktuelle Situation zu reflektieren. Aber auch um ihre Vision der Schulaufsicht der Zukunft zu präsentieren. Dieser Beitrag war das Ergebnis einer digitalen Workshopreihe, welche mit 14 Schulaufsichten aus 9 Bundesländern im Frühjahr und Sommer 2024 in Vorbereitung auf das diesjährige Forum stattfand.
Anschließend kommentierten Teilnehmer*innen aus den Bereichen Politik, Verwaltung und Wissenschaft diesen Beitrag. Auf Basis der Tagungseröffnung wurden die benannten Herausforderungen rundum das Rollen- und Aufgabenprofil der Schulaufsichten in interaktiven Gruppenphasen vertiefend diskutiert. Dabei ging es unweigerlich auch um das Thema Schnittstellen(-management) und die Einordung der Schulaufsicht im Gesamtsystem. In diesen Phasen werden alle Teilnehmer*innen zu Referent*innen, es findet ein interdisziplinärer Dialog zwischen allen Akteursgruppen statt.
Schulaufsicht vom Tatortreiniger zum Leader „from the middle”
Rückblickend auf die Diskussionen und die Vorstellung ausgewählter Good Practice Beispiele am ersten Tag, lassen sich unterschiedliche Problemfelder festhalten, die in den Thesen ihren Niederschlag finden:
- Subsidiaritätsprinzip und Mangelwirtschaft: Der Umgang mit begrenzten Ressourcen, sei es finanzieller, zeitlicher oder personeller Art, wurde intensiv diskutiert. Es wurde betont, dass die Schulaufsicht eine Schlüsselrolle spielt, um diese Herausforderungen zu meistern. Dafür muss aber das Aufgabenprofil geschärft und Verantwortungsräume klar definiert werden.
- Professionalisierung des Berufsstandes: Es wurde die Notwendigkeit einer Qualifizierung und eines Curriculums für die Ausbildung von Schulaufsichten hervorgehoben. Diese Ausbildung sollte sicherstellen, dass Schulaufsichten nicht als „Erfüllungsgehilfen“ von Verwaltung und Politik eingesetzt, sondern ihre Rolle aktiv und effektiv gestalten können. Dazu gehören Führungs- und Beratungskompetenz in der Schulentwicklung, Personalführung, Konfliktmoderation und Mediation, um dyadische Beziehungen gestalten und auf Augenhöhe agieren zu können, während gegebenen Hierarchien anerkennt und gemanaged werden.
- Großer Bedarf nach einer besseren Evaluierung der Schulaufsicht: Um die Wirksamkeit der Schulaufsicht zu gewährleisten, ist eine kontinuierliche Evaluierung notwendig. Diese sollte darauf abzielen, die Schulaufsicht in ihrer Rolle zu stärken und ihre Arbeit zu verbessern. Hierfür müssen zunächst Standards, eine klare Aufgaben- und Zielklärung entwickelt werden. Damit Schulentwicklung dem Spannungsverhältnis zwischen Aufsicht und Beratung überhaupt gerecht werden kann.
- Trennung von inneren und äußeren Angelegenheiten: Es wurde betont, dass eine klare Trennung zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten notwendig ist, um die Effizienz und Effektivität der Schulaufsicht zu steigern, damit ein „leading from the middle“ wie in Kanada überhaupt möglich ist. Die Anerkennung von Perspektivvielfalt kann hier ein Schlüssel sein. Es wurde betont, dass unterschiedliche Kompetenzen und Handlungslogiken anerkannt werden müssen, um eine effektive Zusammenarbeit zu gewährleisten. Schulaufsichten benötigen Kenntnisse über Verwaltungshandeln, die bildungspolitische Agenda, juristische und finanztechnische Kenntnisse sowie ein Verständnis über Steuerungslogiken.
Ein Blick in die Zukunft: wie kann Schulaufsicht und -entwicklung morgen aussehen?
Neben dem Problembeschreibung und -analyse blickt das Nationale Bildungsforum immer auch auf Lösungspotentiale. Dazu gehört auch das Kennenlernen von Leuchtturmprojekten in Deutschland und über die Landesgrenzen hinweg, die ganz konkret aufzeigen, wie – in diesem Fall Schulaufsicht – in der klugen Vernetzung mit Stakeholder*innen des Systems funktionieren kann.
Dazu gehört beispielsweise die Abkehr von der schulformbezogenen Aufsicht hin zu einem sozialräumlichen Ansatz, bei dem alle Schulformen in einer Region im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft zusammenarbeiten – der Schulentwicklungsraum Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin macht es bereits vor. Durch gezielte Vernetzung der Akteure sollen die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen besser adressiert werden. Ziel der Arbeit ist es, Kinder und Jugendliche besser zu begleiten und unterschiedliche Lernwelten sinnvoll aufeinander abzustimmen. Insgesamt soll die Wirklogik zu einer besseren Abstimmung, Kooperation und Koordination der Institutionen innerhalb des Bezirks führen.
Auch die Arbeit mit Schulfamilien als professionelle Lerngemeinschaften nach Vorbildern aus Kanada und Singapur zeigen, welche Möglichkeiten bestehen und wie datengestützte Schulentwicklung dabei unterstützt. Dieser Ansatz funktioniert besonders gut, wenn sich auch die Rollen der Führungskräfte im Schulsystem ändern. Bildungsforscherin Prof.in Dr.in Anne Sliwka erläuterte in ihrem Beitrag, wie die Schulaufsicht zwischen den Ebenen des Schulsystems vermittelt, datengestützte Entwicklungsprozesse in der Mitte des Systems („Leading from the Middle“) führt und die neue Lernkultur zwischen den Schulen gestaltet. Dabei legt die Schulaufsicht den Fokus auf strategische Ziele, die für das Bundesland wichtig sind. Sie verknüpft mehrere Schulen zu einer Lerngemeinschaft und arbeitet mit den Schulen kokonstruktiv. Im Kontext der digitalen Wissensgesellschaft erfindet sich die Schulaufsicht als „Wissensbroker“ neu und organisiert wissensintensive Lernprozesse. Dabei sorgt sie für die Regelmäßigkeit, Verbindlichkeit und Qualität der Lern- und Arbeitsprozesse.
Vor dem Hintergrund der Frage nach dem Rollenverständnis der Schulaufsicht ist es wichtig, realistische Wege zu beschreiben, um die Bildungsbroker der Zukunft zu befähigen, gute, datengestützte und empowernde Schulentwicklung betreiben zu können.
Mögliche Antworten und Ansätze finden sich in den diesjährigen sechs Thesen und Handlungsempfehlungen.
Die Schulaufsicht ist in der Tat ein entscheidender Faktor für die Umsetzung von Schulreformen und die Unterstützung der Schulen bei ihrer Weiterentwicklung. Es bleibt spannend zu beobachten, wie die Handlungsempfehlungen des Forums in die Praxis umgesetzt werden und welche Veränderungen sie bewirken.
Die Veranstaltung wurde von Stephan Dorgerloh, Dr. Ekkehard Winter und Sarah Winkler zusammen mit einem Vorbereitungsteam organisiert. Ein besonderer Dank gilt den fördernden und unterstützenden Stiftungen, darunter die Deutsche Telekom Stiftung, die Joachim Herz Stiftung und die Robert Bosch Stiftung.
Ihr Ansprechpartner

Als Strategieexperte und Moderator mit jahrzehntelanger Erfahrung führt Stephan Dorgerloh (er/ihm) Stiftungen wie Unternehmen durch komplexe Prozesse inhaltlichen und organisatorischen Wandels. Als früherer Kultusminister von Sachsen-Anhalt ist er erster Ansprechpartner für unsere Kernthemen Bildung und Demokratie, Kultur und Politik. 2018 gründete er das Nationale Bildungsforum, um dem Wissenstransfer aus Wissenschaft, Praxis und Politik eine jährliche Plattform zu geben.